In der prä-digitalen Welt war es normal, dass ein Unternehmen einzig und allein nach den internen Vorstellungen ein Produkt entwickelte. Der Prozess dauerte oft sehr lange und in vielen Fällen – wie beispielsweise Kettler, die ihre Produkte (Kettcars, Fitnessgeräte) über Jahre nicht verbessert haben und nun von innovativen Herstellern überholt wurden  – schoss man mit dem Ergebnis komplett an den Kundenbedürfnissen vorbei. Warum aber erst der Mensch und dann das Produkt folgen sollte, möchte ich in diesem Beitrag erklären.

Wer sich mit dem Aufbau funktionierender Unternehmensmodelle und den Ideen dahinter beschäftigt, dem ist der Golden Circle von Simon Sinnek bekannt, bei dem es darum geht, sich den Fragen “What?”, “How?” und “Why?” zu stellen. Und zwar – und das ist der springende Punkt – in der richtigen Reihenfolge.

Menschen bauen Produkte für Menschen

Das “What?” ist dabei immer schnell einfach gefunden und Ideen sind in einer Vielzahl vorhanden. Die Umsetzung – also das “How?” –  ist da schon schwieriger. Zumindest wenn es um ein MVP, sinnvolle Investments und vor allem die richtigen Menschen geht, die das Produkt entwickeln. Kommt man dann beim “Why?“ an – also warum das neue Produkt überhaupt auf den Markt kommen sollte – wird das Fragezeichen bei den meisten zu groß.

Dabei ist die Antwort einfach: Menschen bauen Produkte für Menschen. Das “Why?” lässt sich nur darüber herausfinden, indem man das Ergebnis – also das Produkt, das Angebot – vollkommen nach der Zielgruppe ausrichtet und sich Gedanken macht, welchen Mehrwert man in ihrem Leben wirklich bieten will. Statt eine Idee von einem fertigen Produkt zu haben und dann den Markt dafür zu suchen, sollte man den Prozess umkehren: Ein Bedürfnis erkennen und dann das passende Produkt dazu entwickeln. Das ist auch einer der Gründe, warum ein Traditionsunternehmen wie Kettler insolvent geht und ein Newcomer wie Peloton mittlerweile Millionen an Spinning-Fahrrädern verkauft. Eben, weil diese auf die aktuellen Bedürfnisse der Endkunden ausgerichtet sind.

Das Henry-Ford-Prinzip ist 2020 zum Scheitern verurteilt

Damit die Ausrichtung nach dem Why, also den Bedürfnissen der Menschen, die zu Kund*innen werden sollen, funktioniert, braucht es auch ein Umdenken im eigentlichen Entwicklungsprozess.

Bisher lief alles nach dem Henry-Ford-Prinzip, bei dem klar definierte Produkte von klar definierten Abteilungen hergestellt wurden. Reflektiert wurden sie nur sehr bedingt, denn man arbeitete mit der Annahme, dass die Bedürfnisse der (sehr eindimensional gedachten) Kund*innen bekannt und abgedeckt wurden – Product Centric.

People Centric statt Product Centric

Stattdessen plädiere ich für einen People Centric Ansatz, bei dem die Menschen hinter den zahlenden Abnehmer*innen gesehen werden. Deren Bedürfnisse sich verändern können und die dementsprechend auch empfänglich für neue Produkte sind. Funktionieren kann das, wenn man motivierte Menschen mit den richtigen, diversen (!) Skills und Ambitionen zusammenbringt und einen sinnvollen Feedbackprozess etabliert.

Denn es hilft nicht, einfach einen Innovation Hub zu bauen und darauf zu hoffen, dass am Ende etwas Erfolgreiches dabei raus kommt. Im Gegenteil: Freiräume spielen natürlich eine Rolle, dennoch empfehle ich ganz klar, im Vorfeld Leitplanken wie eine Produkt- und/oder Unternehmensvision vorzugeben, an denen sich das Team orientieren kann. Die Vision kann dann zum Beispiel sein, dass das Bedürfnis der Kund*innen nach schneller und gesunder Ernährung zu decken. Basierend auf dieser “Bedarfsanalyse” kann dann entwickelt werden. Und zwar so, dass die, die das Produkt entwickeln, verstehen, wie und warum die, die das Produkt nutzen, es nutzen.

Das Vorhaben um die Saftpresse Juicero war vom Ansatz her gar nicht falsch gedacht, denn man wollte den Menschen ein Tool geben, mit dem sie Säfte schnell und gesund ohne große Vorbereitungszeit im Stile eines Kaffeevollautomatens zubereiten können. Jedoch dachte man am Ende zu technisch und nicht menschlich genug, was dazu führte, dass man mit der Hand deutlich mehr Saft aus den Saftpaketen pressen konnte, als mit der Maschine. Ein 120-Millionen-Investment-Fail für die Geschichte, der die Wichtigkeit von menschlichen Feedbackprozesse und die Fehleranfälligkeit von zu technisch gedachten Vorhaben zeigt.

Ein einfaches Tool zur Messung von Kundenzufriedenheit in unterschiedlichen Touchpoints der Customer Journey ist der Net Promoter Score (kurz NPS). Hierbei wird den Kunden immer die entscheidende Frage stellt: „Würden Sie dieses Produkt Ihren Freunden weiterempfehlen?“. Basierend auf solchen kundennahen Ergebnissen kann das Produkt in Hinblick auf das extrem wichtige “Why?” des golden Circles entwickelt werden.

Mit genau dieser Vorgehensweise habe ich in den letzten Jahren die besten Ergebnisse erzielen können und ich kann nur an jeden appellieren, dass man sich bei der Produktentwicklung voll und ganz an den Menschen ausrichtet, die es nutzen sollen. Zudem muss man auch die Menschen, die es bauen, entsprechend bemächtigen, damit sie es überhaupt tun können.

In diesem Sinne: People Centric over Product Centric. Oder auch: Wer die Digitalisierung bewältigen möchte, denkt erst an den Menschen. Und dann an das Produkt.